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19.4.2024 : 13:36 : +0200

Wir haben den Jakob-Muth-Preis 2019 gewonnen! Der Film startet beim Klicken des Bildes.

„Wer zu uns kommt, ist richtig“ (Tagesspiegelartikel vom 26.09.2019, Frank Bachner

Die Friedenauer Gemeinschaftsschule wird für ihre Inklusionsarbeit mit dem renommierten Jakob-Muth-Preis ausgezeichnet.

Respekt, Millie ist echt hart im Nehmen. Man könnte ihr den größten Blödsinn vorlesen, es wäre ihr völlig egal. Millie würde es hinnehmen wie Wind und Wetter. In Wirklichkeit hört sie spannende, unterhaltsame Geschichten, in denen viel Kindgerechtes auftaucht, aber das ist ihr genauso egal. Sie hat immer den gleichen zufriedenen Gesichtsausdruck. Manchmal würfelt sie auch, durchaus mit viel Spaß. Nur: Die Zahl, die auftaucht, ist ihr dann völlig schnurz.

Gut, von einem Mischling, bei dem ein Jack Russell mitgemischt haben muss, kann man natürlich auch nicht mehr erwarten. Aber Millie, der knuffige Hund, weiß gar nicht, wie wichtig die Rolle ist, die er in der Friedenauer Gemeinschaftsschule besetzt. Millie stärkt das Selbstvertrauen von Schülern, Millie erhöht ihre Konzentrationsfähigkeit. Axel Junker sagt: „Die Kinder sind deutlich angstbefreiter, wenn sie sich an den Hund schmiegen und ihm vorlesen. Der Hund findet das toll, und die Kinder entwickeln Selbstbewusstsein.“ Junker ist Grundstufenleiter an der Schule, Teil eines komplexen, hoch engagierten Teams.

Therapiehund Millie steht für Lern-Methoden der Schule

Der Therapiehund Millie steht symbolisch für die erfolgreichen Mittel, die an dieser Schule eingesetzt werden, um jenem Anspruch zu genügen, den Uwe Runkel, der Schulleiter, so formuliert: „Jedes Kind hat das Recht, individuell gefördert zu werden.“ Die Schule setzt diesen Anspruch ausgezeichnet um, so sah es auch die Jury, die den renommierten Jakob-Muth-Preis vergibt. Sie hat die Friedenauer Gemeinschaftsschule in diesem Jahr mit der begehrten Auszeichnung geadelt. Der Preis geht an Schulen, denen Inklusion vorbildlich gelingt. Er ist mit 3000 Euro dotiert, Ende September wurde er von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei einer Feier in der Zitadelle Spandau überreicht.

Im Büro von Runkel hängt eine Uhr, die eher ein Kunstwerk ist. Große Zahnräder greifen ineinander, fein abgestimmt, und vielleicht kann man dieses Werk auch als Zeichen dafür nehmen, wie in der Schule gearbeitet wird. Alle Verantwortlichen, die mit den Schülern, arbeiten, sind eng verzahnt. Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter, Therapeuten, sie alle arbeiten gemeinsam an Lösungswegen. „Wir versuchen, so viele Angebote wie möglich an die Schule zu holen“, sagt Runkel.

Drei Tiere sind zum Beispiel in dem wuchtigen Bau, für sie ist es der praktische Teil ihrer Ausbildung zum Therapiehund. Millie und die anderen sind eine bedeutende Motivation. Es kann sein, dass ein Lehrer zu seinem Schüler sagt: „Wenn du es schaffst, zehn Minuten vorzulesen, dann gehen wir mit dem Hund noch spazieren.“ Oder ein Hund wie Millie stupst mit der Nase einen Würfel an, und mit der Zahl, die oben liegt, müssen die Schüler dann arbeiten.

Stark herausfordernde Kinder an der Schule

837 Schüler lernen in der Gemeinschaftsschule, 114 davon haben sonderpädagogischen Förderbedarf. 38 sind in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung gestört, die wohl schwierigste Gruppe für Pädagogen, Erzieher und Sozialarbeiter. Diese Schüler meint Daniel Dollezal, der Fachleiter Inklusion, wenn er sagt, „dass wir stark herausfordernde Kinder haben, die woanders ausgeschult werden. Aber wir betreuen alle, jedes Kind erhält sein besonderes Angebot.“

Ein solches Angebot ist zum Beispiel das „Projekt Übergang“. In diesem Projekt werden Schüler betreut, die im normalen Unterricht an ihre Grenzen stoßen. Für eine kleine Gruppe Schüler wird für zwei Stunden pro Woche ein besonderer Unterricht angeboten. Strategisches Ziel ist es immer, die Schüler in die Klasse zurückzuführen und in den normalen Unterricht einzugliedern. Dazu finden auch Gespräche mit Eltern und dem jeweiligen Klassenlehrer statt.

Insgesamt 96 Lehrkräfte bemühen sich um die Schüler, darunter zwölf Sonderpädagogen. 35 Erzieher, drei Sozialpädagogen, sechs Schulbegleiter sowie 14 weitere Kräfte ergänzen den umfangreichen Mitarbeiterstamm der Schule.

Unterrichtet wird in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, die jeweils drei Jahrgänge umfassen, die bekannte JÜL-Form: die Klassen 1 bis 3, 4 bis 6 und 7 bis 9. In den Klassen 1 bis 6 arbeiten die Kinder in Mathematik, Deutsch und Englisch mit Lernwegen: Jedes Kind kann hier nach seinem Tempo auf dem jeweiligen Lernweg vorankommen. Für die Schüler der Jahrgänge sieben bis neun stehen Lernbüros zur Verfügung. Grundlage sind die Lernpläne der einzelnen Fächer. In denen stehen Aufgaben, welche die Schüler nacheinander und in ihrem jeweiligen Tempo bearbeiten. Damit das Ganze Struktur bekommt und die Effektivität überprüft werden kann, ist vermerkt, was der einzelne Schüler auf jeden Fall lernen muss. Schließlich wird der Stoff bei Prüfungen ja abgefragt. In einem Logbuch notiert jeder Schüler seinen Ablauf der nächsten Woche, seine Lernziele sowie die Punkte, die er bereits erreicht hat.

Sanfter Übergang von Klasse sechs auf Klasse sieben

Der Übergang von Klasse sechs auf sieben wird so behutsam wie möglich gestaltet. Für viele Schüler stellt diese Schwelle einen erheblichen schulischen und emotionalen Bruch dar, für Kinder, die dazu noch gehandicapt sind, kann er fatale Wirkungen haben. „Die Kinder werden von Klasse sechs an Klasse sieben übergeben“, sagt Axel Junker, „damit sie die neuen Lehrer kennenlernen und eine persönliche Bindung entsteht.“ Die Schüler und die betreffenden Lehrer sprechen miteinander, die Angst vor dem Ungewissen nimmt damit ab. „Wir reden dabei immer über die Stärken der Kinder und ihre Kompetenzen“, sagt Junker.

Das passt zur Methode, bis zur Klasse sechs generell keine Noten zu vergeben. „Wir schauen nach der Kompetenz der Schüler“, sagt Runkel. „Wir unterstützen Kinder auf vielen Ebenen, wo immer Förderbedarf ist.“ Und Förderbedarf beschränkt sich nicht auf die klassischen Handicaps wie etwa Lernschwächen. Probleme können auch Schüler haben, die besonders intelligent sind. Ob die auch gleich hochbegabt sind, muss eine Expertise erweisen. Auf jeden Fall können solche Kinder durchaus verhaltensauffällig sein. Bei den verantwortlichen Schulpsychologen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist die Friedenauer Gemeinschaftsschule sehr im Fokus, weil sie vergleichsweise viele Fallzahlen hat.

Allerdings, sagt Junker, „gab es in der Grundstufe in den vergangenen fünf, sechs Jahren kein Kind, bei dem wir den Eindruck hatten, an unsere Grenzen zu stoßen“. Die Lehrer führen intensive Elterngespräche, schon wenn die Kinder noch an der Kita sind. Die Gemeinschaftsschule kooperiert mit 13 Kitas, und in den Gesprächen mit Vätern und Müttern wird beraten, welche Klasse für das jeweilige Kind am besten sein könnte.

Uwe Runkel, der Leiter der Schule, hat ein einfaches Motto, Leitschnur für solche Elterngespräche: „Wer zu uns kommt, ist richtig.“